Landbote mit kritischen Worten zu Kollektivstrafen

26.01.2024 00:07:01 | maroons

Wer Unschuldige bestraft, macht etwas falsch

 

Seit zehn Monaten reagiert die Politik mit Kurvensperren auf Randale ausserhalb der Stadien. Weil davon auch Tausende von Unbeteiligten betroffen sind, steigt die Gefahr einer Eskalation.

Die Strafe kommt schnell – und sie ist hart. Am Sonntagabend haben rund 100 Anhänger des FC Zürich beim Bahnhof Altstetten die Polizei angegriffen. Am Dienstag wird entschieden: Die Fankurve des FCZ muss für das Heimspiel gegen Lausanne leer bleiben. Das entspricht dem neuen Umgang der Polizeibehörden mit Fangewalt. Am Samstag war die Ostkurve der Young Boys geschlossen.
Die Strafe klingt auf den ersten Blick logisch und konsequent. Fussballfans machen Probleme? Also sollen Fussballfans dafür büssen. Es gibt viele Menschen, die nicht einsehen, warum Matches nur mit grossem und teurem Polizeieinsatz möglich sein sollen. Oder warum ihre Quartiere stundenlang vom öffentlichen Verkehr abgeschnitten sind.
Leider hat das Vorgehen gleich mehrere Haken: Am kommenden Mittwoch werden möglicherweise die 100 Gewalttäter von Altstetten bestraft. Vielleicht aber auch nicht. Niemand weiss, ob sie wirklich Karten für die Südkurve besitzen.

3900 Menschen in Sippenhaft

Sicher getroffen werden aber mindestens 3900 Menschen, die am Sonntag nicht randaliert haben und nun trotzdem nicht ans Spiel dürfen. Sie alle werden in Sippenhaft genommen.
Wie viele von ihnen erachten die Strafe wohl als verdient? Und wie viele fühlen sich ungerecht behandelt, weil sie für einen Angriff verantwortlich gemacht werden, der nach Spielschluss 1,5 Kilometer Luftlinie vom Stadion entfernt stattgefunden hat, während sie ganz woanders waren?
Die Idee hinter den Kollektivstrafen ist einfach: Will eine Gruppe nicht, dass sie für Taten Einzelner belangt wird, sorgt sie in den eigenen Reihen für Ruhe. Selbstregulierung heisst das Zauberwort.
Es gibt genügend wissenschaftliche Studien, die belegen, dass Gruppenstrafen im Normalfall genau das Gegenteil bewirken. Sie sorgen dafür, dass sich die Gemässigten oder Unbeteiligten unter den Bestraften mit den radikaleren Elementen solidarisieren. Die Folge ist also nicht mehr Ruhe. Sondern mehr Unruhe.

Der Staat darf es sich nicht zu einfach machen

Das bedeutet nicht, dass der Staat aus Angst vor der Reaktion der Fans tatenlos zusehen soll, wenn es zu Gewalt kommt. Aber er darf sich die Strafverfolgung auch nicht zu einfach machen. Natürlich ist es schwierig, in einer uniformen Gruppe von Fussballfans Einzeltäter zu fassen. Aber am Sonntagabend hat sich niemand in der Masse der Südkurve versteckt. Die war zu dem Zeitpunkt nämlich nicht am Bahnhof Altstetten.
Gemäss Informationen dieser Zeitung sind auf Videos sogar teils unvermummte Aggressoren zu sehen. Also ist es an den Behörden, diese Personen zu finden – und ihrer Bestrafung zuzuführen. Das ist mühsam, kostet Ressourcen und kann dauern. Aber so funktioniert nun mal das Schweizer Justizsystem.
Das aktuelle Vorgehen von Politik und Polizei umgeht all das mit scheinbarer Leichtigkeit. Statt Einzelnen ihre Taten nachzuweisen und Jahre auf ein Urteil zu warten, spricht man in Höchstgeschwindigkeit Pauschalstrafen aus. Womit man der Öffentlichkeit das Gefühl vermittelt, dass da endlich mal jemand für Ordnung sorgt.
Bloss ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass genau das Gegenteil bewirkt wird. Für Ruhe und Ordnung sorgen Kurvensperrungen selten. Nur wer sehr naiv ist, denkt, dass die ausgesperrten Fans einfach zu Hause bleiben. Im besten Fall weichen sie in andere Sektoren aus. Im schlechteren tauchen sie vor dem Stadion auf. Und den schlechtesten Fall will man sich gar nicht ausmalen.
In der letzten Saison kam es in der höchsten Schweizer Fussballliga zu den wenigsten schweren Vorkommnissen, seit Zahlen erhoben werden. Jetzt aber deutet fast alles darauf hin, dass es zwischen organisierten Fans und Behörden demnächst zur Eruption kommt.
Die Polizeidirektorinnen und -direktoren werden sich dann wieder sehr schockiert zeigen. Aber sie werden mit dem Vorwurf leben müssen, dass sie es diesmal selber waren, die massgeblich an der Eskalationsschraube mitgedreht haben.


Quelle: (landbote.ch / 24.01.2024 16:53 Uhr / Florian Raz)