Artikel der NZZ über das "La Praille" Stadion

01.06.2006 00:00:00 | maroons

Das Stade de Genève bietet dieser Tage als eines der acht gelobten Stadien der Euro 2008 ein abwechslungsreiches Programm. Während zehn Tagen hatte sich die deutsche Auswahl in Genf den vorletzten WM-Schliff geholt. Am Mittwoch spielte die Schweiz vor 30 000 Zuschauern gegen Italien, am Sonntag tut dies vor gleich grosser Kulisse Brasilien gegen Neuseeland, tags darauf empfängt der Servette FC in der 1.-Liga-Aufstiegspoule Herisau, und am 7. Juni treten Spanien und Kroatien zum WM-Test an. Wagt vor diesem farbigen Hintergrund noch jemand zu behaupten, in Genf rage das Sorgenkind der Euro-2008-Arenen in den Himmel?

Vor zwei Jahren gastierte die Mannschaft von Trainer Köbi Kuhn letztmals in Genf. 7500 Personen erschienen zum Testmatch gegen Slowenien (2:1). Die fehlende Resonanz erregte im Schweizerischen Fussballverband damals Unmut. Doch das Problem war weniger der Liebesentzug der Genfer Bevölkerung, sondern vielmehr der Name des Gegners. Denn: Nicht immer steht die WM vor der Tür, nicht immer ist die Fussballauswahl begehrt, und nicht immer ist Italien zu sehen.

«Italien» ist im Genfer Stadion nicht der Alltag. Im Februar 2005 wurde über der Profi-Abteilung des Servette FC und der Betriebsgesellschaft des Stade de Genève der Konkurs verhängt. Die von den Behörden (Kanton Genf, Lancy) geführte Stadion-Stiftung war als Eigentümerin gefordert, da in Genf die öffentliche Hand geradezustehen hat, wenn sich im Stadion finanzielle Löcher auftun - im Gegensatz zu den von Privaten getragenen Sportstätten in Basel und Bern. Die Verantwortung der (kantonalen) Behörden ist ein Konstruktionsfehler, aber nicht mehr rückgängig zu machen. Doch das Schlimmste scheint überstanden. Der Tiefpunkt sei 2005 erreicht worden, man habe jetzt ein positiveres Image zurückgewonnen und befinde sich in einer Phase der Stabilisierung, sagt der Advokat Jean-Pierre Carera, der in der Stadion-Leitung den Kanton vertritt. Das Jahresbudget beträgt nur zwei Millionen Franken, wovon das Länderspiel gegen Italien ungefähr einen Zehntel decke, wie das frühere Stiftungsmitglied Mark Schipperijn vermutet. Das Event-Center laufe, rühmt Carera, es gebe Ausstellungen und etwa 15 Servette-Heimspiele (Zuschauerschnitt 2500).

Das Zwei-Millionen-Budget sei nur realistisch, wenn das Stadion-Programm auf das Minimum reduziert und der Betrieb subventioniert werde, vermuten Betreiber anderer Stadien. In der Tat schoss der Kanton Genf zur Deckung des Budgets 2005 und 2006 jährlich 473 000 Franken ein. Das ist laut Carera eine «öffentliche Investition, die mit subventionierten Kulturanlässen zu vergleichen ist». Gemäss einem kantonalen Finanzbericht hat der Kanton für das Stadion gegen 50 Millionen Franken aufwenden müssen. Die Rede ist von einem finanzschwachen Kanton, der 2005 ein Defizit von 433 Millionen ausweist. Die Schulden sind auf über 12 Milliarden gestiegen.

Im Stadion plagen weitere Sorgen. Weil der Souverän der Stadt Genf an der Urne einen Zusatzkredit von 2,5 Millionen Franken verwarf und somit auch die privaten Investoren ihren Sanierungsbeitrag zurückzogen, sind die 12 Millionen noch nicht bezahlt, die seit Jahren dem Generalunternehmer Zschokke (neu: Implenia) geschuldet werden. Das sei ein «delikates Thema», weiss Carera. Im Moment sei keine Lösung in Sicht, ergänzt Schipperijn. In der Zwischenzeit klammert sich Carera an die wenigen Länderspiele - und an Strohhalme: Vielleicht steige der Servette FC in die Challenge League auf, hofft er. Doch ist dort Geld zu verdienen? Eher nein. So quält wohl noch lange die Frage: Wer bezahlt die Rechnung?        / bö  / Neue Zürcher Zeitung