Aus der AZ von heute
ETIENNE WUILLEMIN, CHAM
«WENN EIN MÄRCHEN WAHR WIRD» verkündete das klubeigene Internetportal. Nach dem 2:1-Sieg in Biel war das unmöglich Scheinende geschafft – Aufstieg in die Challenge League. Dass die Chamer Fussballfamilie kopfstand, überrascht nicht. Der Klub durfte den grössten Erfolg seiner bald 100-jährigen Vereinsgeschichte feiern. Entsprechend euphorisch ging es zu und her. Gut ein Monat ist seither vergangen, geändert hat sich die Stimmungslage noch immer nicht. «Zwar ist die Vorbereitung etwas skurril verlaufen», wie Präsident Urs Scherer vom Strand in Italien aus verlauten lässt, der Vorfreude auf den Beginn der neuen Saison tut dies allerdings spürbar keinerlei Abbruch. Morgen geht es endlich los, das Märchen darf aus Chamer Sicht seine Fortsetzung finden – erstes «Opfer» des ältesten Vereins im Kanton Zug ist der FC Wil. Entsprechend optimistisch gibt sich der SC Cham – «Ready for the Challenge», ist auf der Vereinshomepage zu lesen.
TATORT SPORTANLAGE RöHRLIBERG in Cham, Montagabend kurz nach 19 Uhr. Die Spieler des SC Cham machen sich bereit zur Trainingseinheit. Das heimische Eizmoos befindet sich momentan im Umbau – in der Hoffnung, wenigstens die Heimspiele der Rückrunde im echten «Zuhause» austragen zu können. Vorderhand geniesst der SC Cham Gastrecht auf der Zuger Herti. Während die Konkurrenz im Stade de Genève (Servette) oder auf der Pontaise (Lausanne) trainiert, sind die Verhältnisse der Chamer eben bescheiden – auf dem gleichen Areal trimmt Siebenkämpferin Simone Oberer ihre Form im Hinblick auf die WM in Osaka. Ebenso bescheiden: die Zuschauerzahl im Training – einer. Skender Mala heisst er,
der Einzige, arbeitet in der anliegenden Hirslanden-Klinik und wollte darum kurz vorbeischauen. «Nein, ich denke, sie steigen nicht ab», gibt er sich optimistisch. «Spricht der Träumer oder der Realist aus Ihnen?» – «Ganz klar, für unsere Region wäre ein Verbleib in der zweithöchsten Spielklasse natürlich ein Wunsch. Es wird schwierig, zumal dieses Jahr vier Mannschaften absteigen. Aber möglich ist es.»
«DER GLAUBE KANN BERGE VERSETZEN», wussten schon die Korinther und Hiob im Neuen Testament. Das ist auch dem SC Cham klar. Trotzdem sehen sich die Zuger klar in der Aussenseiterrolle, auch wenn noch niemand so genau weiss, was für Überraschungen die Challenge League birgt. Captain Daniel «Rocco» Rogenmoser sagt: «Wir befinden uns im Ungewissen über das Niveau. Es wird sich erst im Laufe der ersten Wochen zeigen, ob wir überhaupt eine Chance haben oder aber gar nahe dran sind. Lassen wir uns überraschen.» Die Aussage widerspiegelt den SC Cham perfekt. Die Mannschaft ist und bleibt ein Team von Freizeitfussballern. «Wir erhöhen unser Pensum nicht, nur weil wir jetzt in der Challenge League spielen. Das könnten wir gar nicht, fast alle haben einen Full-Time-Job. Fussball ist und bleibt unser Hobby», sagt Rocco. Und er fügt an: «Das heisst noch lange nicht, dass unsere Gegner die Spiele gegen den SC Cham auf die leichte Schulter nehmen können.» Rocco wirkt entspannt, wenn man ihm zuhört. Er hat allen Grund dazu, denn: «Was haben wir zu verlieren? Die Erfahrung kann uns sowieso niemand nehmen. Und ausserdem bin ich überzeugt davon, dass unsere Mannschaft den Charakter hat, einige Niederlagen gut verarbeiten zu können.»
SICH SELBST TREU BLEIBEN will die Vereinsleitung. Natürlich sei der Ligaerhalt das grosse Ziel, entnimmt man den Worten von Präsident, Trainer und Assistent. Coach Jean-Daniel «Dada» Gross präzisiert allerdings: «Es muss heissen: Ligaerhalt ohne Investitionen!» In der Tat verzichtete der SC Cham auf Kapriolen. Einer der wenigen Zuzüge ist Dragoljub Salatic (er wechselte von Zug 94), sein jüngerer Bruder Vero spielt bei GC. Zurzeit noch an der Achillessehne verletzt, flachst er während des Lauftrainings seine Kollegen beobachtend: «Siehst du, wie Maradona!» Ob ihm etwa gewahr ist, dass sein SC Cham Hilfe von Gottes Hand benötigt, um in der Challenge League bestehen zu können? Das Training naht seinem Ende. Noch einmal lauschen die Spieler den Worten von Dada Gross, die Gedanken wahrscheinlich schon beim Spiel gegen den FC Wil. Das erste von 34 Abenteuern. Noch ist allen zum Lachen zumute. Assistent Reto Zihlmann verkündet grinsend: «Wir sind die Färöer-Inseln der Schweiz – ausser dass unser Goalie kein Chäppli trägt . . .»
20.07.2007 M.A.
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