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Die Presse: Servette, Hockey und Fussball

28.07.2015 17:13:47

VERKEHRTE SPORTWELT

Text: Marc David Fotos: Anoush Abrar

In Genf feierte ein Präsident mit den Hockeyanern Erfolge. Derselbe Mann scheiterte mit dem FC Servette grandios. Jetzt sollen Michel Pont und ein Industrieller den Fussballern Beine machen.

Glanzlicht auf dem Eis, der 2. März 2015. Der HC Genf-Servette fertigt die Stars des HC Lugano mit 5:1 ab und erreicht zum zweiten Mal in Folge die Playoff-Halbfinals. Das Eisstadion Les Vernets bebt. Man spielt vor ausverkauftem Haus, 7600 Zuschauer brüllen Lobgesänge auf ihre Lieblinge, darunter drei Jungen im Alter von 17, 18 und 20 Jahren: Impose, Descloux und Douay. Für Genf-Servette, den zweifachen Spengler-Cup-Sieger, ist erst im Halbfinal gegen die Kampfmaschine ZSC Lions Schluss.

30. Mai 2015, Nebel über dem Rasen. Der FC Servette kassiert gegen Winterthur in seinem letzten Spiel in der Challenge League vier Tore. Noch ein paar Tage zuvor haben die Spieler um den Aufstieg in die Super League gekämpft. Nun sind sie mit dem Kopf nicht mehr beim Fussball. Der Klub ist seit einem Monat zahlungsunfähig, die Lizenzvergabe steht unmittelbar bevor. Die Sorge ist begründet: Tags darauf wird Servette in die Promotion League relegiert. Adieu, Traum der alten Grösse! Ein Konkurs wie 2005 zeichnet sich am Horizont ab.

Diese ganze kleine Welt ist granatrot, trägt dasselbe Trikot. Und hat dazu den gleichen Präsidenten. Hugh Quennec, ein kanadischer Industrieller, der 2007 im Eishockey einsteigt und 2012 im Fussball. Die Reihenfolge ist wichtig. Er darf den Fussballklub auch leiten, weil er sich im Eishockey einen guten Ruf erarbeitet hat.

Nun, sportlich gesehen – und das dient als Erklärung für die ausserordentliche Diskrepanz zwischen dem Fussball und dem Eishockey in Genf – gehört der Hockeyklub Genf-Servetteeinem einzigen Mann: Chris McSorley. Der omnipräsente Kanadier ist seit 2001 dabei, ist Trainer und Manager, aber auch Aktionär und Besitzer des Klubs – und fällt alle sportlichen Entscheide. Obwohl Servette mit 10,5 Millionen eines der kleinsten Budgets der Ligue A hat, schafft es McSorley dank radikalen Methoden und einer guten Mischung von Spielern Jahr für Jahr, vorne mitzumischen. Und das Publikum zieht mit. Mit einem Zuschauerschnitt von 6600 ist das Stadion Les Vernets die Nummer 24 in Europa. Spezialevents wie die «Winter Classic» zwischen Genf und Lausanne, einem Eishockeyspiel im Fussballstadion Stade de Genève vor 30 000 Leuten, haben den Grenats auf Schlittschuhen vollends ein Gewinner-Image verpasst. Aus einer Eishockey-Wüste hat McSorley eine begeisterte Stadt gemacht. Er holt aus seinen Spielern das Maximum heraus.

Ein paar hundert Meter neben dem Eisstadion herrscht Anfang Juni eine ganz andere Atmosphäre. Das Stade de Genève, «La Praille», hat keine Geschichte. Alles, was vom traditionsreichen Servette FC und den 17 Meistertiteln übrig blieb, steht in einer Vitrine mit ein paar Pokalen, einem sehr alten, sehr verwaschenen granatroten Trikot, das beinahe durchsichtig ist, wenn man es in den Händen hält. Und einem Wimpel von vor der Sintflut. Viele Trophäen sind beim Konkurs 2005 verschwunden, sechs Jahre nach dem letzten Meistertitel. Als Quennec kam, wollte er das Stadion für «jedes Spiel füllen, egal, wo wir in der Tabelle gerade stehen». Doch obwohl der Klub sportlich um den Aufstieg in die Super League mitspielte, hat er im Schnitt nicht mehr als 4100 Leute anlocken können. Sein Engagement endete in einer Finanzmisere, die im März enthüllt wurde, obwohl Quennec in drei Jahren 15 Millionen Franken aus der eigenen Tasche in den Klub gesteckt hatte. Das Budget wurde nie kommuniziert, muss aber zwischen fünf und sieben Millionen gelegen haben. Der Präsident erwartete viel von einer Stadt, in der der Sport keine Priorität geniesst: Während 234 Millionen in die Kultur fliessen – davon 50 alleine ins Grand Théâtre –, kriegt der Sport nur 43 Millionen. Quennec bekam nie die Unterstützung, die er forderte. Schliesslich stand er alleine und hilflos da, der undurchsichtigen Geschäftsführung beschuldigt.

Der welsche Fussball hat seine Glaubwürdigkeit durch seine wiederholten Konkurse (Lausanne, Servette, Xamax), sein Scheitern selbst untergraben. Das Eishockey hat davon profitiert, die Investoren wechselten das Lager. Ob sich das ändern wird? Das neue Eisstadion in Genf «Trèfle-Blanc» («Weiss-Klee») ist erst ein Projekt. Diesen Sommer wird die überalterte Vernets renoviert. Doch die Liga fordert eine moderne Anlage, sonst droht der Lizenz-Entzug. Die bekannte Geschichte.

Anderswo lebt Xamax wieder auf, und Lausanne plant in Malley ein Fussballstadion mit 10 000 Plätzen (2019) und ein Leichtathletikstadion mit 13 000 Plätzen für die Athletissima.

Zurück im Genf von heute. Ein stahlgrauer Privatlift bringt den Besucher in den Bauch des Stade de Genève – und damit in einen summenden Bienenstock. Hier wird gearbeitet. Man spricht über Revisionen, Neuverhandlungen von Verträgen. Quennec hat das Kapital des Klubs für einen symbolischen Franken der neu gegründeten Fondation 1890 überlassen, deren Name eine Referenz ans Gründungsjahr von Servette ist. Dank dieser Gruppe von Privatunternehmen, die im Hintergrund bleiben möchten (man spricht von der Bank Pictet und der reichen Wilsdorf-Stiftung, Besitzerin von Rolex), sind die Schulden beglichen, das Budget für die neue Liga auf zwischen zwei und drei Millionen fixiert.

Mittendrin: ein bekanntes Gesicht. Michel Pont, früher Trainer-Assistent der Nationalmannschaft, gleich enthusiastisch wie immer und doch ein wenig gezeichnet. Zum dritten Mal widmet er sich der Sache Servette mit Leib und Seele. Seine Stunden zählt er nicht, bereitet mit Alain Studer, der aus dem Rugby kommt, die sportliche Zukunft vor. «Ich stelle mich mit ganzer Kraft in den Dienst des Klubs. Das ist mein Beruf.»

Er hat dies auch unter Quennec getan. Und typisch Pont, der bis aufs letzte Haar ein positiver Mensch ist, möchte er nicht nachtreten: «Für Quennec ist es ein persönliches Scheitern. Er hat immer gehofft, die grossen Sponsoren würden kommen – aber sie kamen nie. Ich bin davon überzeugt, dass es für ihn mit seinem Idealismus und seinen Werten ein sehr schmerzvoller Ausgang ist.»

Weshalb glaubt Pont an den Neuanfang? «Dieses Mal ist es eine Genfer Gruppe, die die Zügel in die Hand nimmt. Und ein methodischer, kartesianischer, realistischer Mann, der sie vereint. Der Klub ist nicht sein Spielzeug. Er hat Freunde motiviert. Die neue Devise ist Arbeit, Opferbereitschaft, Ruhe.»

Didier Fischer also, der neue Boss, 56-jährig. Er empfängt in einem Zimmer mit Blick auf den Rasen. Spricht mit einer ruhigen Stimme, strahlt Ausgeglichenheit aus. Auch wenn er die Spiele des FC besuchte, ein Verehrer des alten Stadions Charmilles und ein Bewunderer des blonden Engels Joko Pfister war: Fischer kommt nicht aus dem Fussball. Er war 25 Jahre lang Volleyballer (Servette, Meyrin) und ist Mitglied im Vorstand des Servette Rugby Clubs. Wie alle Sportfans mag er diesen Geist der Garderobe, diese Momente, in denen es nach Perskindol und Schweiss riecht und die Equipe zusammenrückt, bevor es ernst gilt. Er ist bodenständig, mag starke Marken und alles, was mit Tradition und Geschichte zu tun hat. Zum Beispiel hat er 1999 Cenovis gekauft und gerettet, ist Präsident des Weinproduzenten Cave de Genève.

Unter vier Augen erzählt Fischer gerne von sich. Von seiner Frau, einer Juristin chilenischer Herkunft. Von seinen drei Kindern, wovon der Älteste einen Master in Recht und Wirtschaft hat und die anderen beiden an der Uni Lausanne studieren. Alle drei sind sportlich. Er spricht von seinem Weingut in einem Genfer Dorf. Über die achtzig Winzer der Cave de Genève, mit denen er übers Wetter und die Reben spricht. Über seine Vorliebe fürs Wandern und die Natur.

Mit Ernte kennt er sich aus. Er weiss, dass man sich dafür Zeit lassen muss. Und verspricht, dass er lange da sein wird. «Ich bin kein Präsident, der ankommt und allen alles erklären will», sagt er. «Ich sehe mich mehr wie eine Plattform, auf der sich Kompetenzen entwickeln können.» Die Struktur der neuen Einheit verbietet jede persönliche Bereicherung. Es handelt sich um eine Stiftung, nicht gewinnorientiert, die Rechenschaft ablegen und den Gewinn wieder einbringen muss. Fischer ist unerwartet aufgetaucht, aber er tat es, um zu verhindern, den Konkurs seines Teams mit ansehen zu müssen. «Genf ist eine Marke. Servette kann das Ansehen der Stadt beschädigen. Das wäre schlecht für die Moral der Menschen hier, für das internationale Genf. Das geht weit über den Fussball hinaus.»

Fischer hat Leute vereint, die über grosse Mittel verfügen. «Diese Beiträge sind enorm wichtig, um anderen Vertrauen zu geben, die auch einsteigen wollen.» An seinem ersten Tag verabredete er sich um 14 Uhr mit seinen Teilhabern, Juristen und Experten im Stadion. «Werdet ihr mich bis Ende Juli unentgeltlich begleiten?», fragte er sie. Danach traf er die Behörden der Stadt, sprach über die Probleme mit dem Stadion. «Ein sehr schönes Stadion, nahe der Stadt. Aber wir müssen neu verhandeln, damit es keine Bürde mehr ist. Es ist an uns, dass es ein lebendiger Ort wird. Das Wichtigste ist, dass wir nicht mehr bei jedem Match zittern müssen, weil das elektrische System schwächelt. Der Rest ergibt sich. Wir werden hier Geschichte schreiben.»

Fischer hat es nicht eilig, dass Servette wieder an die Spitze kommt. Er ist trotzdem ungeduldig. «Das ist meine Haltung bei allem, was ich in Angriff nehme.» Als er mit seinem Engagement zögerte, war es sein Bruder Thierry – Dirigent eines Orchesters mit Weltruf –, der ihn überzeugt hat. «‹Das ist der Klub unserer Kindheit!›, hat er mir gesagt. Immer, wenn er irgendwo landet, schaut er nach, was Servette gespielt hat.» Seit seiner Ankunft sei Fischer überwältigt von der Verbundenheit der Leute. «Er ist ihnen, dieser Klub. Es ist ähnlich wie bei Cenovis: Ich hatte eine ganze Schublade, die voll war mit Briefen von untröstlichen Leuten.»

Man will sich nicht klein machen. So rasch erholt man sich zwar nicht, aber das Wort «Challenge League» wird schon geflüstert. Pont, ganz bescheiden: «Wir haben einen grossen Wiederaufbau vor uns. Wir werden ganz sicher keine grosse Klappe haben.» Der Schatten des Eishockeys? Für Pont bleibt Genf in erster Linie eine Fussballstadt, in der die Menschen auch ins Eisstadion gehen. «Wir sind beide granatrot, der eine wie der andere.»

Servette bleibt für ihn ein einzigartiger Schatz. «Und nicht nur in Genf. Wenn der Klub auswärts spielt, vor allem in der Deutschschweiz, verstärkt der Fanklub das Team wie kein anderer Klub. Wir wenden uns nicht einfach so im Handumdrehen ab nach 125 Jahren. Wir sind eine Institution.»

 

GENÈVE-SERVETTE HC

Gegründet:       1905

Budget:            10,5 Millionen

Stadion:            Patinoire des Vernets (7135 Plätze), seit 1958

Zuschauerschnitt 2014–15: 6600

Präsident:         Hugh Quennec

Eigentümer:      Hugh Quennec und Chris McSorley

Palmarès:         Neunmal Meisterschafts-Zweiter, zweimaliger Cupsieger. Zweimaliger Spengler-Cup-Sieger

Entwicklung:      1956: Aufstieg in die NLB.

1964: Aufstieg in die NLA.

1975: Abstieg in die NLB.

1980: Abstieg in die 1. Liga.

1995: Aufstieg in die NLB.

2002: B-Meister und Aufstieg in die NLA.

Palmarès in der NLA seit Einführung der Playoffs:

zweimal Finalist (2008, 2010). Dreimal Halbfinalist (2004, 2014, 2015)

www.gshc.ch

 

FC SERVETTE

Gegründet:      1890

Budget:            2 bis 3 Millionen (für die Promotion League)

Stadion:           La Praille Stade de Genève (30 000 Plätze), seit 2003

Zuschauerschnitt 2014–15: 4100

Präsident:        Didier Fischer

Eigentümer:    Fondation 1890

Palmarès:        17-facher Meister, siebenmal Cupsieger

Entwicklung:  Durchgehende Zugehörigkeit zur NLA bis zum Konkurs 2005 und zur Zwangsrelegation in die 1. Liga.

2006:   Aufstieg in die Challenge League.

2011: Aufstieg in die Super League.

2013: Abstieg in die Challenge League.

2015: Zwangsrelegation in die 1. Liga Promotion

www.servettefc.ch