NZZ betreibt Ursachenforschung zu Weilers Abgang
René Weiler bescherte dem Servette FC den ersten Titel seit 23 Jahren – doch auch er verlässt Genf unerwartet schnell
Der Genfer Klub und René Weiler trennen sich, obwohl der Vertrag des Sportchefs noch drei Jahre gültig gewesen wäre. Im Servette-Universum bleiben hohe Fluktuation und rasante Richtungswechsel die Konstanten.
Es gibt rund um den Servette FC ermutigende Zeichen. Zum vierten Mal in den letzten fünf Jahren hat der Klub in der Super League die Top 3 erreicht; im Sommer nimmt Servette gegen die Glasgow Rangers, Pilsen oder Salzburg die Qualifikation für die Champions League in Angriff. Und 9'932 Zuschauer bedeuten den zweithöchsten Zuschauerschnitt der Klubgeschichte.
Und doch ist der Verein im Wandel, wieder einmal. Dieser Zustand ist die grosse Konstante, seit der Genfer Privatier Didier Fischer vor zehn Jahren das Zepter übernommen hat. Dank der von Fischer vermittelten, generösen Unterstützung der Hans-Wilsdorf-Stiftung ist Servette seither seine zuvor chronischen Geldsorgen los. Zur Ruhe findet der 17-fache Meister trotzdem nicht.
In erstaunlicher Kadenz werden Präsidenten, Generaldirektoren, Verwaltungsräte und Manager ausgewechselt, im ebenfalls von Fischer kontrollierten Eishockeyverein ist die Situation identisch. Der 2020 fristlos entlassene ehemalige Zampano Chris McSorley streitet bis heute vor Gericht um seine Abfindung. Er wartet immer noch auf sein Geld, obwohl er kürzlich einen juristischen Teilsieg errang. Nach der Niederlage vor Gericht offerierte ihm der Klub weniger als 20 Prozent der Streitsumme mit der Begleitnotiz, man werde den Fall sonst an die nächste Instanz weiterziehen. McSorley redet inzwischen offen davon, dass Mobbing im Servette-Universum System habe.
Oft geschehen Rochaden über Nacht, ohne Angabe von Gründen. So war das 2023, als Philippe Senderos, ein Sohn der Stadt, verabschiedet wurde. Er hatte sich damals gegen den Leihtransfer von Kevin Mbabu gestellt, weil dieser mit einem Monatslohn von rund 60'000 Franken alle finanziellen Dimensionen sprengte. Und vor einigen Monaten auch bei Sandy Maendly, dem Aushängeschild der Frauenabteilung. Jetzt trifft es René Weiler, trotz Vertrag bis 2028.
2023 gab nur Basel mehr Geld für Beraterhonorare aus als Servette
Weiler, 51, war 2023 Trainer im Servette FC geworden. Er bescherte dem Verein europäische Sternstunden und mit dem Cup-Sieg den ersten Titel seit 23 Jahren. Im Sommer stieg er auf eigenen Wunsch zum Sportchef auf, er sah es als Notwendigkeit an, den Klub zu professionalisieren. Dafür gibt es etliche Beispiele. Die Peinlichkeit von Februar 2024, als Servette vergass, seine Winterzuzüge bei der Liga zu registrieren und Omar Rekik sowie Bassirou N’Diaye unverschuldet ein halbes Jahr ihrer Karriere wegwerfen mussten.
Der Klub hat sich für dieses Versäumnis nie öffentlich entschuldigt – und leistete eine Sonderzahlung an den längst aussortierten Stürmer Ronny Rodelin, damit sich dieser an den Amateurklub Perly-Certoux ausleihen liess, wo er nie aufkreuzte. Es war ein Kunstgriff, um wenigstens einen Platz auf der Kontingentsliste frei zu bekommen.
Ein anderer Fall ist der von Alexander Lyng, einem jungen Dänen, der keine einzige Pflichtspielsekunde für Servette absolviert hat. Er konnte 2024 aber wie andere nie eingesetzte Akteure eine Cup-Sieger-Prämie geltend machen, weil das Reglement so schlecht ausgearbeitet war. Lyng, 20, war im Frühjahr 2023 für offenbar mehr als 600'000 Franken aus der dritten dänischen Liga verpflichtet worden. Gegen den Willen Weilers, der darauf hinwies, dass man Spieler von dieser Qualität im eigenen Nachwuchs habe. Lyng absolvierte diese Saison auf Leihbasis beim dänischen Aufsteiger Sönderjyske und wechselt nun für einen Bruchteil der bezahlten Summe zurück in die Heimat.
Lyng hat den gleichen Berater wie der Stürmer Chris Bedia, der kurz zuvor für 2 Millionen Franken nach Berlin verkauft worden war. Es ist eine Konstellation, die dabei hilft, eine sehr erstaunliche Zahl zu verstehen: Gemäss den von der Liga publizierten Finanzzahlen hat im Geschäftsjahr 2023 nur der FC Basel mehr für Honorare an Spielervermittler ausgegeben als Servette, das über zwei Millionen Franken überwies.
Gemessen an der überschaubaren Zahl von Transfers überrascht das sehr. Und nicht nur diese Geldflüsse sind unübersichtlich. 2024 belaufen sich die bilanzierten Transferausgaben auf 4,8 Millionen Franken, eine Zahl, über die selbst intern gerätselt wird, weil sie auch mit den grosszügigsten Berechnungen nicht zu erreichen ist.
Atemberaubende 28 Millionen an «sonstigen Erträgen» weist die Servette-Bilanz zudem aus, eine Chiffre für die Geldquelle namens Wilsdorf. Es ist unklar, was mit diesem Geld geschehen ist – das Budget für die erste Mannschaft war auf diese Saison hin gekürzt worden, obwohl das Team 2023/24 inklusive Ticketeinnahmen mit Europa mehr als 10 Millionen Franken an Zusatzeinnahmen generiert hatte. Der Servette-Mediensprecher Loïc Lüscher sagt auf Anfrage, es gebe in dieser Angelegenheit nichts zu kommunizieren.
Sicher ist: Der Servette FC und der Eishockeyklub Genf/Servette müssen pro Jahr die Summe X an eine von der Familie Fischer kontrollierte Aktiengesellschaft entrichten, der Zweck ist ein Geheimnis. Die «Tribune de Genève» schrieb 2024, dass alleine der FC in den Jahren 2021 und 2022 jeweils 350'000 Franken überwiesen habe, was eine grosszügige Entlöhnung darstellt für die nichtoperative Tätigkeit Fischers in einem hochdefizitären Unternehmen. Die Lokalzeitung schrieb auch von Interessenkonflikten Fischers, davon, dass er in den Institutionen nur ihm nahestehende Personen einstelle.
Es sind Vorgänge, die Fragen aufwerfen. Schon bei Pascal Besnard, einem Ex-Spieler, inzwischen ein Banker von Renommee in Genf, war das so: 2022 wurde er als Präsident eilig wegspediert. Niemand sei grösser als der Klub, sagt Fischer gerne, wenn wieder Personal ausgetauscht wird.
Das neueste Opfer ist der weitgereiste Weiler, der sich in einem Durcheinander von Kompetenzgerangel und Einflussnahmen zurechtfinden musste. Das Budget wechselte ständig. 2024 musste das Prämienbudget der ersten Mannschaft reduziert werden, kurz nach dem Cup-Sieg. Dabei hatten Kluboffizielle kurz zuvor dem rapide alternden Stürmer Jean-Pierre Nsame eine Millionenofferte unterbreitet.
Im Winter standen doch wieder kaum Mittel für Verstärkungen bereit. Daran scheiterte die geplante Übernahme des französischen Junioren-Nationalspielers Kyliane Dong. Realisiert wurde der Leihtransfer von Alioune Ndoye, einem jungen senegalesischen Stürmer. Ndoye, 24, hat 6 Rückrundentore erzielt, im Schnitt eines alle 74 Minuten, er ist ein Schnäppchen und wird nun für eine tiefe sechsstellige Summe übernommen. Daneben versucht Servette Matteo Di Giusto zu engagieren, den Regisseur des FC Winterthur, obwohl auf dieser Position gar kein Bedarf besteht.
Servette ist der einzige Super-League-Klub, der ohne Sportchef operiert
Weiler rieb sich an Widersprüchen auf, daran, dass er wenig Autonomie genoss. Und er verlor das Ohr Fischers, welches dem Scout Yoan Loche gehört. Der Franzose arbeitet seit vielen Jahren in Genf und hat eine Reihe von Fehltransfers zu verantworten: Lyng, Sofyane Bouzamoucha, Moussa Diallo, Ronny Rodelin. Seine Rolle ist undurchsichtig, mehrere Quellen berichten, er trete auf wie ein Schattensportchef, mit dem Segen von ganz oben. Loche dürfte ein wichtiger Teil jener Sportkommission sein, die Servette künftig führt. Und auf die Weiler wenig Lust verspürte.
Servette wird der einzige Super-League-Klub sein, der ohne Sportchef operiert. Aber es ist ein Modell, mit welchem Servette schon vor der Ära Weiler operierte. Und das Fischer dann mit der Begründung verwarf, es sei Zeit dafür, die Strukturen zu professionalisieren. Jetzt ist wieder alles anders, es ist der nächste ruckartige Richtungswechsel. Die Frage ist, wie lange das noch gutgeht. Bisher hat der sportliche Erfolg alle Irritationen überstrahlt, aber Servette läuft Gefahr, seine Fortune überzustrapazieren.
Weiler wird die Trennung verschmerzen können, er bleibt ein gefragter Mann im internationalen Fussball, man hat im Ausland nicht vergessen, dass er mit al-Ahly und Anderlecht Titel gewann. Im Winter lag ihm eine Offerte als Coach des MLS-Klubs Vancouver Whitecaps vor, er lehnte sie ab, weil er Servette inmitten einer Transferperiode nicht im Stich lassen wollte. Fünf Monate später ist er in Genf Geschichte
Quelle: (nzz.ch / 25.05.2025 10:19 Uhr / Nicola Berger)