Der Franzose Gaël Clichy war Meister mit Arsenal London und Manchester City, er bestritt für Frankreich grosse Endrunden. Im Herbst seiner Karriere wertet er den Servette FC und die Super League auf.
Im August 2003 landen am Londoner Flughafen Gatwick ein französischer Aussen- und ein Schweizer Innenverteidiger: Gaël Clichy und Philippe Senderos, entdeckt von Arsène Wenger, dem grossen Trainerphilosophen. Ein Fahrer ihres neuen Arbeitgebers Arsenal FC bringt sie auf das Klubgelände, die beiden Teenager teilen sich ab da drei Jahre lang das Zimmer. «Wir waren jung und hatten keine Ahnung, aber wir haben uns gegenseitig geschätzt und geholfen», sagt Clichy heute.
Die beiden machen Karriere, das grosse Geld - Clichy mehr als Senderos, der mit Verletzungen kämpft, fehlendem Selbstvertrauen auch, und so oft von Klub zu Klub irrlichtert, bis die Karriere irgendwann am Horizont verglimmt, im FC Chiasso.
Clichy dagegen wechselt 2011 zu Manchester City, für eine Lohnsumme von 90'000 Pfund pro Woche. Er feiert Meistertitel und spielt unter grossen Trainern dieser Epoche: Josep Guardiola, Roberto Mancini. Er gehört während Jahren zur französischen Nationalmannschaft. Und 2020 wird er als Stammkraft bei Basaksehir Istanbul türkischer Meister - der Champions-League-Teilnehmer hätte ihn gerne weiterbeschäftigt.
Doch stattdessen sind Clichy und Senderos jetzt, siebzehneinhalb Jahre nach dem Zusammentreffen in London, wieder Weggefährten, im Servette FC, im Alter von je 35 Jahren. Senderos ist im August als Sportchef eingesetzt worden; das Engagement Clichys im Dezember war einer seiner ersten Transfers. Aber wer denkt, da habe ein alter Freund Senderos einen Gefallen getan, damit Servette erstmals seit dem französischen Weltmeister Christian Karembeu 2004 wieder einen Spieler von gehobenem Renommee verpflichten kann, irrt.
Es war Clichy, der sich meldete - nachdem er mit seiner Familie entschieden hatte, nach Genf zu ziehen, weil er dort die besten Ausbildungsmöglichkeiten für seine Kinder sieht. Und, so wie es klingt, auch für sich selber. Clichy unterschrieb bis 2022, aber er sagt: «Die Absicht ist, dass wir lange zusammenarbeiten, auch nach der Karriere.»
Clichy kann sich vorstellen, in Genf seine Trainerkarriere zu lancieren, er sagt: «Ich habe von den Besten gelernt. Gerade Guardiola hat mich beeindruckt. Er hat ein Umfeld geschaffen, in dem jeder Spieler im Training 200 Prozent gab. Und auch von meinen anderen Trainern konnte ich lernen. Wenger zum Beispiel war wie ein Ziehvater für mich, er hat auch Werte fernab des Fussballs vermittelt. Das alles heisst nicht, dass ich ein guter Trainer sein werde. Aber ich möchte es gerne versuchen.»
Ärger über den Kunstrasen
Vorerst aber wird der Musterprofi Clichy im linken Couloir Akzente setzen. Und seine Routine an die jungen Teamkollegen weitergeben. Manchmal, sagt Clichy, wundere er sich über die neue Generation: «Viele wollen der nächste Neymar werden, ein paar Millionen Follower auf Instagram haben. Mich haben solche Inszenierungen nie interessiert. Ich wollte einfach Fussball spielen, auf dem höchstmöglichen Niveau.»
Dieses Level kann die Schweiz nicht bieten, aber es ist nicht das, was Clichy an der Super League irritiert. Und auch nicht die liederlichen Platzverhältnisse, beispielsweise in Vaduz, wo er im Dezember sein Debüt gab. Sondern: der Kunstrasen, verlegt etwa in Bern.
Der joviale, umgängliche Clichy redet sich bei diesem Thema geradezu in Rage, er sagt: «Ich weiss nicht, wie man es Spielern zumuten kann, auf Kunstrasen zu spielen. Das ist gesundheitsgefährdend und inakzeptabel. Ich bin bald zwanzig Jahre Profi. Aber auf Kunstrasen habe ich sonst nirgendwo spielen müssen.» Sein neuer Arbeitgeber entschied sich erst in allerletzter Minute dagegen, im heimischen La-Praille-Stadion ebenfalls einen Kunstrasen zu verlegen. Clichy sagt dazu: «Für mich wäre das ein Grund gewesen, den Transfer abzusagen.»
Genf als Premiere
Servette kann von Glück reden, dass es anders kam. Einen linken Verteidiger von dieser Qualität hatte der Klub lange nicht mehr, vielleicht sogar noch nie; es kommt jetzt vor, dass sich der Anhang verblüfft die Augen reibt, weil die Flanken und das Stellungsspiel so präzise sind und man sich doch so lange das Gegenteil gewohnt war.
Und auch Clichy sagt, er erlebe in Genf noch Neues, selbst jetzt, im Dämmerlicht der Laufbahn: «Ich habe mein Leben lang für Klubs gespielt, die in ihrer Stadt punkto Popularität nicht die Nummer 1 waren, egal, ob in Istanbul, London oder Manchester. Hier ist das anders, das spüre und schätze ich.» Es sind erstaunliche Worte, gemessen an der Reserviertheit, mit der die Genevois ihrem Fussballklub traditionell begegnen, sofern der nicht gerade den Meistertitel gewinnt.
Doch Clichy sagt, er habe sich sofort wohl gefühlt, im Team und in der Stadt; es fühle sich so an, als wäre er schon seit Jahren hier. Wenn man ihn fragt, ob diese Geborgenheit helfe bei der Motivation, entgegnet er, er verstehe die Frage nicht: «Für mich spielt es keine Rolle, ob ich vor 80'000 Zuschauern in London oder vor null Leuten in Vaduz spiele. Es geht darum, dass ich das Feuer in mir spüre. Wenn es erlischt, höre ich auf. Aber Servette ist noch einmal eine Herausforderung, ein Abenteuer.»
Clichy hat in seiner Karriere viele Titel errungen, neun insgesamt; sein Aufstieg begann ziemlich genau dann, als Servette wegen finanzieller Kapriolen in der Bedeutungslosigkeit verschwand - der 17-fache Meister hat seit exakt zwanzig Jahren nichts mehr gewonnen. Clichy sagt: «Ich will mithelfen, den Klub wieder an die Spitze zu führen. Wieso sollen wir es nicht ins europäische Geschäft schaffen?»
Eine Möglichkeit, sich für Europa zu qualifizieren, böte der Schweizer Cup. 2001 hat Servette dort letztmals triumphiert, unter dem Coach Lucien Favre, 3:0 gegen Yverdon, mit Martin Petrov und Alex Frei im Angriff. Seither hat der Klub in diesem Wettbewerb enttäuscht, er scheiterte an Vereinen wie Cham, Breitenrain, Nyon und Wohlen. Das Provinzielle war seit dem Konkurs von 2005 ein steter Begleiter des Servette FC. Clichy hat jenes mondäne Flair zurückgebracht, das zum Genfer Selbstverständnis passt.
Quelle: (nzz.ch / 03.02.2021 15:42 Uhr / Nicola Berger)

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