Servette's langer Weg zurück

09.09.2016 00:00:00 | maroons

Servette und der Weg zurück in den Fokus

 

Ein Bericht aus der deutschschweizer Presselandschaft über den Servette FC.

Der lange Weg zurück: (Nicola Berger/ 02.09.2016)

 

Der Servette FC war einst der Leuchtturm des welschen Fussballs. Doch während die Erinnerungen an die Erfolge von einst vergilben, findet der Klub einfach nicht auf die Beine. Unter dem Präsidenten Didier Fischer nimmt Servette den nächsten Anlauf. Es könnte der Letzte sein.

 

Die Fahrt zum Rendezvous mit Didier Fischer führt hinaus in die Peripherie. Das Tram ruckelt durch die Innenstadt, auf den Jet d’Eau und die Postkartenidylle rund um das Seebecken herum, folgen weniger glamouröse Ecken; vom mondänen Genf ist bald nicht mehr viel übrig. Zu Fuss geht es vorbei am «Centre commercial de La Praille» einem dieser seelenlosen Einkaufszentren wie sie in den Vorstädten zu Dutzenden aufgezogen werden. Vor den Toren des Konsumtempels stehen ein paar Pfeiler. Es ist die «Mur de solidarité», das Überbleibsel einer Spendenaktion des Servette FC aus dem Jahr 2012. Die Mauer hätte eine Erfolgsgeschichte werden sollen, ein Manifest dafür, dass dieser Klub noch immer eine Daseinsberechtigung hat; mit Anhängern von Carouge bis Romanshorn. 5000 Steine wurden gekauft im Wert von 100 bis 25 000 Franken, es kam viel Geld zusammen. Aber der Zustand ist: jämmerlich. Überall fehlen Teile, es ist keine Mauer, sondern ein Billigstkonstrukt aus Plastik, das im Wind verlottert und in der Sonne verbleicht. Auf der Rückseite ist eine Ehrentafel angebracht worden; hinter einer verdreckten Plexiglasscheibe steht: «Die grosse Familie des Servette FC bedankt sich aufrichtig und wärmstens bei Hugues Quennec».

Man staunt und fragt sich, für welche Verdienste man dem Ex-Präsidenten denn dankbar sein könnte. Quennec, ein narzisstischer Kanadier, hat die Entwicklung des Klubs mit bemerkenswertem Missmanagement um Jahre zurückgeworfen. In die dreijährige Ära Quennec von 2012 bis 2015 fallen: die erste sportliche Relegation der Klubgeschichte, ein Zwangsabstieg – und der Fast Konkurs von 2015, der das sichere Ende dieses Traditionsklubs bedeutet hätte. Man sucht eine Antwort bei Didier Fischer, dem neuen starken Mann im Servette FC. Aber der Präsident sagt nur: «Quennec ist Vergangenheit, ich schaue nach vorne.» Fischer, ein freundlicher Mann mit festem Händedruck und wachen Augen, sitzt in der Präsidentenloge des Stade de la Praille und erzählt als Erstes einen Witz. Er geht so: Als er seinen Bekanntenkreis informiert habe, bei Servette einzusteigen, habe sein Onkel ihn gefragt, ob sie nicht jetzt gleich noch ein Erinnerungsfoto zusammen machen könnten. Bald sei das ja nicht mehr möglich – wenn Fischer hinter Gittern sitze. Der Jux ist bitterböse, aber er erzählt viel über das ramponierte Image dieses Vereins. Und es stimmt ja: Unter Fischers Vorgängern gab es nicht zu wenige Ganoven. Da war der verurteilte französische Hochstapler Marc Roger. Der Iraner Majid Pishyar, der neben Servette zwei weitere Klubs (Admira Wacker, Beria-Mar) ruiniert hat. Dazu der undurchsichtige Quennec, kurz: Es ist keine Ruhmesgalerie.
Seit der Ära des inzwischen verstorbenen Mäzen Paul-Annick Weiler von 1991 bis 1996 hat kein Obmann den Klub mehr stabilisieren können. Unter der Regentschaft des französischen TV-Privatsenders Canal+ gelang 1999 zwar der letzte Meistertitel, aber auch dieses Intermezzo endete bald. Seither klammert sich der Klub an seine alte Grösse – und findet nicht zur Ruhe.
Die Frage an Fischer: Warum tut man sich das an? Zumal als erfolgreicher Entrepreneur, der einen Ruf zu verlieren hat? Fischer holt jetzt weit aus. Er erzählt, wie sehr ihm die Selbstprofilierung im Profifussball zuwider ist. Aber wie er den Klub nicht einfach sterben lassen konnte, weil er sich genau daran erinnert, wie sehr ihn Servette fasziniert hat, damals, als er seinen Vater an die Heimspiele in der Charmilles begleitete. Er redet von einer «sozialen Verantwortung», ihm ist klar, wie identitätsstiftend ein Fussballklub sein kann.

 

30 Minuten für die Geldsuche

Über Fischer muss man wissen, dass er in der Genfer Wirtschaft exzellent vernetzt ist. Er hat Schokolade verkauft, Wein, den Aufstrich Cenovis, und wer so umtriebig ist, schüttelt viele Hände. Und doch erstaunt es, wenn Fischer erzählt, wie er Servette vor dem neuerlichen Untergang gerettet hat, im letzten Juni. Es galt, den von Quennec angehäuften Schuldenberg von fünf Millionen Franken zu tilgen – und gleichzeitig das Budget für die Saison 2015/2016 bereitzustellen. Die Zeit war knapp, der Konkurs nahe. Man stellt sich diffizile Verhandlungen vor, an umfassende Bedingungen geknüpfte Zusprüche. Fischer rückt sich die Brille zurecht und sagt: «30 Minuten. So lange hat es gedauert, um das Geld zusammenzubekommen. Ich habe eigentlich nur gesagt: Meine Herren, das ist die Situation: Machen wir es oder machen wir es nicht?» Sie machten es. Ein Konglomerat aus Privatbankiers und der «Fondation Hans Wilsdorf», der Stiftung des gleichnamigen Rolex-Gründers, schoss die nötigen Mittel ein – und tut das auch weiterhin. Im Sommer finanzierten die Gönner ein neues, fast vier Millionen Franken teures Terrain. Servette operiert auch in der Challenge League mit einem Budget von rund fünf Millionen, was wenig Geld ist im Vergleich mit dem FC Zürich und Wil, aber mehr als Xamax und der Rest der Liga aufwerfen kann. Grossverdiener ist der ehemalige Schweizer Nationalspieler Mathias Vitkiviez, der die perfekte Symbolfigur für diesen Klub ist, weil auch er krampfhaft die Magie besserer Tage sucht und nicht findet.
Es ist ein schwüler Donnerstagabend in Genf, Servette unterliegt dem FC Schaffhausen mit 0:2, was zum missratenen Saisonstart passt. Im nie fertiggestellten und mit einer Kapazität von mehr als 30 000 Zuschauern völlig überdimensionierten EM-Stadion von 2008 verlieren sich 1760 Zuschauer. Es sind Momente wie dieser, in denen sich trotz 17 Meistertiteln und sieben Cup-Erfolgen ernsthafte Zweifel darüber regen, ob Servette im Jahr 2016 eigentlich noch ein grosser Verein ist. Neben Fischer am Tisch sitzt Constantin Georges, der Generaldirektor im Servette FC. «Ein grosser Klub?», fragt er rhetorisch, und legt die Stirn in Falten. Dann sagt er: «Ja, ich denke schon. Wir haben eine Geschichte, die sich nicht einfach so wegwischen lässt.»
Ja, die Historie. Fatton. Rummenigge. Eriksen. Neuville. Der Meistertitel 1999, als der Captain Fournier die Schmerzmittel im Multipack einwarf, damit er die Finalissima in Lausanne nicht verpasst. Niemand verleugnet diese Höhepunkte. Aber sie beginnen zu vergilben. Einer der davon erzählen kann, ist Carlos Varela. Er ist Genfer und im Servette FC gross geworden. Als er im letzten Jahr in der Promotion League mit Köniz gegen seinen Ex-Klub antrat machte er eine Feststellung: Dass der einstige Glamour Servettes den jüngeren Teamkollegen kein Begriff mehr war. Varela sagte: «Für sie war Servette ein Amateurklub wie jeder andere. Ich konnte das fast nicht glauben.»

So läuft das, in einer Zeit, die immer schnelllebiger wird. Seit 15 Jahren und dem 3:0 unter Trainer Lucien Favre im Cup-Final von Basel über Yverdon-Sports hat Servette keinen Titel mehr gewonnen; im vergangenen Jahrzehnt hat der Klub nur zwei von elf Spielzeiten in der höchsten Liga bestritten. Es ist darum keine allzu kühne These, dass Fischer und Co. Für Servette die letzte Hoffnung darstellen. Scheitern auch sie, würde der Klub sich dann wirklich noch einmal erheben können? Es ist schwer vorstellbar.

Keine schlechten Voraussetzungen

Fischer sagt, das Überleben sei derzeit gesichert, er habe keine Anzeichen dafür, dass sich die Mäzene zurückziehen wollen. Klar ist aber auch: Sobald das geschieht, gehen abermals die Lichter aus; zu gross ist das strukturelle Defizit, wobei diese Problematik mit Ausnahme des FCB fast jeder Klub kennt. Für Servette gibt auch ein anderes Szenario, ein weniger Pessimistisches, eines, in dem der Verein im Schweizer Fussball wieder zu einer ernst zu nehmenden Kraft aufsteigt. Die Voraussetzungen sind so schlecht nicht. Die Geldgeber sind seriös und hüten sich, Einfluss auf die Klubpolitik zu nehmen. Und die Nachwuchsabteilung stellte 2016/2017, sie soll ein Jahr des Übergangs werden, denn nicht nur für den Präsidenten ist es die Premiere im Profifussball. Dem Sportchef Alain Studer, ein Ex-Rugby-Spieler, fehlt ebenso jegliche Erfahrung wie dem jungen Trainer Anthony Braizat. Im Führungszirkel verfügt einzig Michel Pont, der ehemalige Assistenztrainer der Schweizer Nationalmannschaft, über Routine im Metier. Er berät auf Mandatsbasis den Präsidenten.
Die Unerfahrenheit ist riskant, aber sie muss sich nicht zwingend rächen – eine frisch Perspektive in der Parallelwelt Profifussball kann wertvoll sein. Mitte August, ein paar Tage vor Redaktionsschluss, rasselte Servette in Bern gegen Breitenrain in der Startrunde aus dem Cup. In den Kommentarspalten wurde danach auch der Klubchef Fischer angegriffen, wann dieser denn endlich erwache. Fischer nimmt die Kritik nicht persönlich, der Defätismus der Lokalbevölkerung ist für ihn schliesslich nichts Neues. Er sagt: «Der Genfer ist zunächst aus Prinzip einmal gegen Servette. Ausser der Klub spielt erfolgreich, dann feiert er in der ersten Reihe mit.» So oft ist das bisher nicht geschehen. Seit der Eröffnung des bereits maroden Stade de Genève im April 2004 hat Servette seine Heimstätte nie mehr ausverkauft. Fischer hat aus den Fehlern seiner Vorgänger gelernt, er verzichtet auf Versprechen. Aber natürlich hätte er nichts dagegen, wenn es seiner Crew gelänge, das Stadion irgendwann zu füllen, in fünf, zehn Jahren.
Es wäre ein gutes Sujet für ein Bild mit seinem Onkel.

 

 

/Kevin