Blick interviewt Philippe Senderos

26.08.2020 23:24:27 | maroons

Senderos zu seiner Servette-Rückkehr als sportlicher Leiter

 

Vom Rasen direkt auf den Bürostuhl: Der im Winter vom Profi-Fussball zurückgetretene Philippe Senderos (35) kehrt als sportlicher Leiter zu seinem Herzensklub Servette zurück. Wieso er sich der Aufgabe gewachsen fühlt und was sie für ihn bedeutet.

Ruhig und abgeklärt stellt sich Philippe Senderos (35) den Fragen zu seiner neuen Funktion als sportlicher Leiter bei Servette. Das einstige «Grenats»-Talent ist über die Jahre gereift, wie die markanter gewordenen Stirnrunzeln verraten. Mit gerade mal 17 Jahren verlässt er seinen Stammverein, wagt den Sprung aufs europäische Parkett und entwickelt sich bei Top-Klubs wie Arsenal, Milan oder Valencia. Diesen Winter beendet der Ex-Nati-Star seine Profi-Karriere und kehrt nun zu seinem Herzensklub zurück. Nicht in irgendeiner Nebenfunktion, sondern gleich als sportlicher Leiter. Ein überhasteter Schritt? «Nein», sagt Senderos. Dieselbe Kritik ertönte schon bei seinem Wechsel zu Arsenal und sei damals wie heute falsch. Im BLICK-Interview spricht Senderos unter anderem über seine Leader-Qualitäten, sein Vorbild Christoph Spycher und seine Ziele mit Servette.

BLICK: Philippe Senderos, willkommen zurück im Presseraum des Stade de Genève. Ein Stadion, in dem Sie in ihrem Profi-Debüt-Jahr selbst gespielt haben. Können Sie sich noch an den ersten Match hier erinnern?
Philippe Senderos: Ja klar, ich erinnere mich. Es war 2003 nach dem Wechsel vom Stade des Charmilles hier her. Es war ein grosser Augenblick – wir spielten gegen YB, knapp 30'000 Zuschauer waren da. Ich kam zwar nicht zum Einsatz, spielte danach aber einige Spiele hier und trug das Servette-Trikot immer mit Stolz.

17 Jahre später kehren Sie nun zurück. Nicht auf den Rasen, aber auf den Bürostuhl bei Servette als sportlicher Leiter. Wie fühlt sich das an?
Das ist sehr speziell für mich, Servette ist mein Herzensklub. Ich hatte Lust, meinen Beitrag zur Entwicklung des Vereins beizutragen. Der Präsident ist dann zu mir gekommen und hier bin ich jetzt.

Geht für Sie ein Traum in Erfüllung?
Ja. Zu einem Klub wie Servette zurückkehren zu können, ist für jeden ein Traum. Ich habe hier mit fünf Jahren mit Fussball begonnen, spielte früh in der ersten Mannschaft und komme nun als sportlicher Leiter zurück. Ein grosser Moment für mich.

Dazwischen lernten sie bei Arsenal, Milan und weiteren Top-Klubs so manchen Fussball-Star kennen. Gab es Gratulationen zum neuen Job?
Und ob! Viele ermutigten mich, viele beglückwünschten mich von Herzen. Beispielsweise der Sportchef von Arsenal (Raul Sanllehi, A. d. R.) und viele weitere wichtige Freunde.

Haben sie ihm sogleich geantwortet, dass Servette nächste Saison Arsenal aus der Champions League werfen wird?
Nein, nein (lacht). Wir bleiben mit den Füssen am Boden. Wir wissen, woher wir kommen, in welche Richtung wir uns entwickeln wollen.

Was sind ihre wichtigsten Aufgaben in dieser Entwicklung?
Wir haben eine harmonierende technische Kommission mit Junioren-Chef Massimo Lombardo, Coach Alain Geiger und Chef-Scout Gérard Bonneau. Ein kooperierendes Organ, das die wenigsten Klubs haben. Ich werde dieses in Einklang mit der Philosophie und der Strategie des Klubs koordinieren.

Eine grosse Aufgabe für jemanden mit relativ wenig Erfahrung in Sachen Klub-Führung. Sie haben ihre Spieler-Karriere erst vor einem halben Jahr beendet, kommt dieser Schritt nicht etwas zu früh?
Die gleiche Bemerkung kam bereits, als ich damals zu Arsenal ging. Ich denke, alles kommt zu seiner Zeit. Für mich ergab sich jetzt die Chance und es ist der Moment, sie zu packen. Als ich zu Arsenal wechselte war ich zwar erst 17, hatte aber bereits in der ersten Mannschaft von Servette gespielt. Es war eine gut überlegte Entscheidung – genauso wie diese jetzt.

Sie haben sich gegen Ende der Karriere ja schon Richtung Sportmanagement weitergebildet. Man sagt auch, dass sie sieben Sprachen – darunter Farsi – sprechen, stimmt das?
Anders als andere lüge ich nicht in meinem Lebenslauf (lacht). Meine Frau ist Iranerin, zuhause sprechen wir Iranisch. Sie können das überprüfen, ich habe bereits Interviews auf Iranisch gegeben.

Kommt noch eine weitere Sprache hinzu?
Warum nicht. Es ist immer gut, mehr zu lernen. Ich bin Perfektionist, will mich immer weiter verbessern. Man ist nie ein fertiges Produkt, es geht immer darum, sich weiterzuentwickeln.

War für sie schon länger klar, dass Sie nach der Profi-Karriere sportlicher Leiter werden wollen?
Das war ein längerer Prozess der Entscheidungsfindung. Ich bilde mich seit einigen Jahren im Bereich Sportmanagement weiter, habe auch mit meinen Trainer-Diplomen begonnen. All das eröffnete mir neue Blickwinkel und ich kam zum Entschluss, dass ich als Sportchef bei Servette einen Unterschied machen kann.

Haben Sie auch daran gedacht, den Fussball ganz hinter sich zu lassen und neue Wege einzuschlagen?
Für jemanden, der den Fussball so fest liebt und spürt wie ich, ist es schwierig, weit weg von einem Team zu sein. Für mich war das deshalb keine Option.

Warum hat der Klub Sie engagiert und nicht jemanden mit mehr Erfahrung in Sachen Vereinsführung?
Das müssen andere beurteilen. Ich werde mich nicht aufspielen. Aber ich denke meine internationale Erfahrung und mein Lebenslauf sprechen für sich.

Sie sind nicht der erste Spieler mit internationaler Erfahrung, der rasch nach seiner Profi-Karriere den Sprung in die sportliche Leitung wagt. Christoph Spycher beispielsweise war bei YB sehr rasch sehr erfolgreich. Ein Vorbild?
Klar. Ich kenne «Wuschu» gut, habe mich zuletzt viel mit ihm ausgetauscht. Es ist inspirierend, was er bei YB erreicht. Das ist ein Klub, dem Servette folgen will. Aber wir starten natürlich von weiter unten, als das bei YB der Fall war.

Alex Frei lief es in Luzern weniger gut, nach 20 Monaten war für ihn als Sportchef wieder Schluss…
Wir könnten jetzt eine Stunde lang über alle Sportchefs reden. Aber wir sollten uns auf Servette konzentrieren. «Wuschu» bei YB ist ein gutes Beispiel dafür, wohin wir gehen wollen.

Besteht nicht die Gefahr, dass Sie sich als neulich zurückgetretener Spieler zu fest in Trainer-Angelegenheiten einmischen?
Genau deshalb haben wir die technische Kommission mit klarer Aufgabenteilung. Meine Aufgabe besteht darin, diese zu beaufsichtigen und Alain Geiger und die anderen bestmöglich zu unterstützen.

Wer war der fussballerisch bessere Innenverteidiger: Alain Geiger oder Sie?
(Lacht) Alain ist ein Vorbild, er war ein wichtiger Nati- und Servette-Spieler mit viel Erfahrung.

Welche Ziele streben Sie mit Servette in der nächsten Saison an?
Wir wollen unseren Platz in der Super League festigen. Das Budget ist trotz Corona und der schwierigen Saison bereits genehmigt, was sehr wichtig ist.

Kann Servette sich höher klassieren als Platz vier?
Das werden wir sehen. Aber nach dem Aufstieg hätte niemand auch nur einen Franken darauf gewettet, dass wir Vierter werden. Wir haben die Erwartungen also schon einmal übertroffen. Aber wir heben deshalb nicht ab. Wir arbeiten kontinuierlich, setzen weiter auf unsere Jugend-Akademie, der Tresor des Klubs.

Reift in diesem Tresor ein Juwel mit Potential für eine ähnlich grosse Karriere wie die ihrige?
Wir haben viele davon. Das haben die Fans in der abgelaufenen Saison sehen können.


Quelle: (blick.ch / 23.08.2020 08:53 Uhr / Dario Dietsche)