Auszüge aus einem Bericht der SonntagsZeitung

25.09.2005 00:00:00 | maroons

 Auf dem Lande Demut gelernt

»Der Fussball in der Romandie findet nur langsam aus der Krise

VON BERNHARD BRUNNER     SonntagsZeitung 25.09.2005

BERN - Finalrunde, 3. Mai 1997. Das war damals der finale Wettbewerb, den die acht besten Mannschaften der Schweiz austrugen, um den Meister zu erküren. Die Paarungen der 9. Runde lauteten: Basel - GC, Lausanne -St. Gallen, Sion - Aarau und Zürich - Xamax. Fällt etwas auf, Ungewöhliches, Gewohntes? Es herrschte Gleichgewicht beidseits des Röstigrabens. Damals. Vier Klubs aus der Deutschschweiz duellierten sich mit vier Romands. Vergangene Zeiten. Die Super League zeigt zur aktuellen Stunde ein anderes Bild. Weit ungleichgewichtiger. Yverdon liegt zusammen mit Neuchâtel Xamax mit vier Punkten aus 9 Spielen abgeschlagen am Tabellenende, die im Spitzenfussball übrig gebliebene Romandie scheint drauf und dran zu sein, den Absteiger exklusiv unter sich auszumachen.

 

«Chapuisat ist ein super Geschenk»  Gérard Castella, Trainer Lausanne-Sport

Die Frage ist daher auch: bewegen wohin? Nicht, dass sich nichts bewegt hätte an der Rhone, am Lac Léman oder am Neuenburgersee in den letzen Jahren, doch es war in weiten Teilen eine Bewegung nach unten. In die Irrungen, die Krise, die Konkurse. Heute stehen Lausanne, Sion und La Chaux-de-Fonds immerhin wieder an der Spitze der Challenge League, aber Servette erholt sich nur langsam vom Schock.

Am letzten Mittwoch besiegten die Genfer den FC Signal auswärts 2:1. Nach der Zwangsrelegation stehen sie in der 1. Liga nach 7 Spielen mit 12 Punkten vorerst auf dem vierten Rang. Der Anreiz des Traditionsklubs besteht in nächster Zeit aus den stadtinternen Spitzenkämpfen gegen Leader Urania oder Carouge, einen Steinwurf vom Stade de Genève weg.

Es gab nur noch die Leere, das Nichts

Lausanne-Sport - ohne s nach dem Konkurs - spielte vor gut zwei Jahren nach dem Konkurs gar in der 2. Liga Interregional, nachdem man vom damaligen und amtierenden Präsidenten Philippe Guignard immer wieder Sätze gehört hatte wie: «Wenn wir am nächsten Dienstag nicht zwei Millionen haben, ist Lausanne tot.» Oder: «Die Bank will nicht», meldete er mit schwacher Stimme aus dem Auto. Gemeint war die Waadtländer Kantonalbank. Sie hatte keine Lust, einen Kredit zu gewähren. Und Gläubiger hatten keine Lust, auf Forderungen zu verzichten. Guignards Sätze stehen nicht anklagend, vielmehr stellvertretend für ähnliche Aussagen aus anderen Städten.

«Wir schenken den Jungen das Vertrauen»  Francisco Viñas, Präsident Servette FC

Der Wille war irgendwann weg, misswirtschaftenden Klubs unter die Arme zu greifen, der Kredit an Vertrauen aufgebraucht. Damals in Lausanne, im Februar in Genf, als Richter Patrick Chenaux vom Handelsgericht nicht mehr an Geschichten aus Tausendundeiner Nacht glauben wollte und sowohl die Betreiber AG des Stadions wie auch Servette für zahlungsunfähig erklärte. Zur Stunde X gab es keine Gruppe aus dem Mittleren Osten mehr (Syrer, wahrscheinlich), keine Gruppe mehr aus Spanien um den ehemaligen Präsidenten Real Madrids, Lorenzo Sanz, und auch kein Geld vom libanesisch-französischen Doppelbürger Joseph Ferrayé, angeblich Erfinder eines Systems, mit dessen Hilfe brennende Ölquellen in Kuwait gelöscht worden waren. Es gab nur noch die Leere, das Nichts.

Xamax hätte vor wenigen Monaten ins gleiche Schicksal schlittern können, wenn der einheimische Bauherr Sylvio Bernasconi den Franzosen Alain Pedretti nicht als Präsident abgelöst und zwei Millionen Franken Schulden (AHV, Pensionskasse, Arbeitsversicherung, Quellensteuer) gedeckt hätte. «Ich hatte die Wahl», sagt Bernasconi, «entweder wie Lausanne und Servette in den Amateurbereich zwangsrelegiert werden oder die Herausfoderung annehmen, den Klub aus dem Sumpf zu ziehen.»

Spieler aus Eigeninteresse verschleudert

Hintergrund der Rettungsaktion ist die Hoffnung, dass mit dem neuen Stade de Maladière alles besser wird - im März 2007 soll das Schmuckstück mit 12 500 Plätzen fertig sein, Insider reden vom schönsten Stadion der Schweiz, das entsteht. Aber ein Stadion allein macht noch keinen Erfolg. Siehe Genf. Von seinem Vorgänger hält Bernasconi nicht viel. «Nul», sagt er, wiederholt sich, «nul», und korrigiert sich dann auf die endgültige Version: «Non, minus.» Verschleudert («bradé») hätten die Vorgänger aus Eigeninteresse Spieler wie Von Bergen und Margairaz (beide zum FCZ) oder M’Futi (nach Frankreich), um «die Misswirtschaft auf Kosten des Klubs zu korrigieren».

Womit wir beim Thema wären. Wen man auch immer fragt über die Gründe der Malaise, am Ursprung der Analysen steht immer das Engagement ausländischer Investoren. Ob Canal+ oder Marc Roger in Genf, ob Waldemar Kita in Lausanne oder eben Alain Pedretti in Neuenburg, es gehe eben nicht, wenn regionale Wurzeln fehlten, Eigeninteressen oder gar - man spreche es aus - kriminelle Energie das Handeln bestimmten. Gilbert Castella, seit zwei Jahren Trainer in Lausanne, fragt aber auch: «Wo war der Wille der Einheimischen, etwas zu bewegen?»

Lausanne und Servette setzten konsequent auf die Jungen

Castella war Trainer (und Meister) in Genf, arbeitete in St. Gallen. Nach zwei Aufstiegen in zwei Jahren ist er in Lausanne wieder «richtig glücklich». Weil er für ein langfristig angelegtes Projekt arbeite, weil Schritt für Schritt Glaubwürdigkeit zurückkämen. Man habe in Spielen gegen die regionale Konkurrenz auf dem Lande «Demut und Bescheidenheit» üben können, Präsident Guignard sagt, es sei «ein Wahnsinn an Arbeit gewesen, aus diesem Loch herauszukommen».

Lausanne-Sport lebt wieder. Auch dank Stéphane Chapuisat. Er sei «ein super Geschenk», sagt Castella, und der Präsident nennt den Entscheid des erfolgreichsten Schweizer Fussballers, an der Geburtsstätte seiner ersten Erfolge die Karriere ausklingen zu lassen, «eine Belohnung für die Marketingabteilung für vergangene schwierige Jahre».

«Wissen Sie, wie alt meine jüngsten Spieler waren, als Chapuisat den Schritt nach Uerdingen in die Bundesliga gewagt hatte? Ein- oder zweijährig. Und jetzt trainieren sie mit ihm, dem Champions-League-Sieger.» Es sei wunderbar, Chapuisat spreche ja nicht viel, aber dass die Jungen ihn im Training, in der Kabine, in heiklen Spielsituationen oder nach Niederlagen beobachten könnten, habe «einen enorm hohen Wert».

Lausanne setzt auf die Jungen. 13 von 19 Kaderspielern sind unter 20 Jahre alt. Den gleichen Weg geht Servette und arbeitet eng mit den Trainern der nationalen Junioren-Auswahlen zusammen. Talente können in Genf jetzt Spielpraxis holen, gegen den FC Signal standen sieben Spieler unter 20 Jahren in der Startaufstellung. Präsident Francisco Viñas, ein ehemaliger Textilunternehmer, will «den Jungen Vertrauen schenken und keinen Rappen mehr ausgeben, als wir haben».