Servette's langer Weg zurück an die Spitze

17.04.2017 00:00:00 | maroons

Artikel des Tagi zum Servette FC und Präsident Fischer

 

Vom Schnaps zum Fussball: (tagesanzeiger.ch / 17.04.2017 / Christian Zürcher)

Servette ist wieder gesund und spielt attraktiv – vor allem dank Präsident Didier Fischer.

Die Tresortür steht offen. Er hat sie tatsächlich offen gelassen. Didier Fischer verlässt sein Büro, um Wasser zu holen. Allein im Büro des Servette-Präsidenten, zusammen mit einer offenen Tresortür.

Das Büro in Rolle am Genfersee ist schlicht eingerichtet, Fischer ist Geschäftsführer einer Weinfirma. Nichts deutet darauf hin, dass er Präsident eines Fussballclubs ist – kein Wappen, kein Poster, keine Kugelschreiber. Sein Servette-Büro sei sein Auto, sagt er. Tatsächlich ziert dessen Haube ein grosses Servette-Logo. Trotzdem, die offene Tresortür verrät einiges über Fischer.

«Ich kann und will nur mit Leuten zusammenarbeiten, denen ich vertraue», sagt er. Noch wichtiger für Servette ist: Die Genfer vertrauen ihm. Er ist seit langem der Erste, dem die Hochfinanz Geld und Aufmerksamkeit schenkt.

Der Weg dahin war schmerzvoll. Servette ist jener Verein, der in den vergangenen 15 Jahren seine Glaubwürdigkeit wie eine klare Führung verspielt hat. Ob der Franzose Marc Roger, der Iraner Majid Pishyar oder der Kanadier Hugh Quennec – die drei ehemaligen Besitzer eint, dass niemand in Genf sie kannte, niemand ihnen traute und jeder den Club an den Abgrund führte.

8 Millionen in 30 Minuten

Als im Sommer 2015 Servette wieder einmal vor dem Konkurs stand, sagten vermögende Leute in Genf: «Wir müssen helfen.» Sie stellten eine Bedingung: Wir retten – aber nur, falls Didier Fischer übernimmt. Von Fischer sagt man, er habe die nötigen 8 Millionen Franken innerhalb von 30 Minuten aufgetrieben.

Wie kommt also jemand dazu, Protégé der Hochfinanz zu werden, der er selbst gar nicht angehört? Fischer hat einst in Sambia und der Elfenbeinküste gelebt, dann eine Schnapsbrennerei geführt und ist in den Weinhandel eingestiegen. Er gilt in Genf als gut vernetzt – und als einer, der nicht wie ein Opportunist einmal links, einmal rechts geht.

Und: Fischer hat sich stets sozial engagiert, er setzt sich für billigen Wohnraum ein und hilft mittels der Organisation Centre Social Protestant Menschen in schwierigen Situationen. Auf diesem Gebiet ist auch die Stiftung Hans Wilsdorf tätig. Wilsdorf war der Gründer von Rolex und etablierte eine Stiftung, die heute milliardenschwer ist und mit äusserster Diskretion agiert. Wenn es in Genf wieder einmal heisst, ein anonymer Spender habe eine Brücke gebaut, dann flachst die Bevölkerung: «Voilà, das waren wohl wieder die von der Rolex-Stiftung.»

Noch fehlen die Zuschauer

Sicher ist, dass Fischer einen guten Draht zur Stiftung hat und sie jährlich 2 Millionen Franken in die Genfer Nachwuchsakademie zahlt. Dazu kommen 3 Millionen aus einem Pool von 14 Geldgebern, die den Verein jährlich unterstützen. Wer das ist, darüber schweigt Fischer. Es dürfte ein Mix aus Bankiers, Stiftungen und Privaten sein. Es sind Engagements, die nicht auf Verträgen, sondern Handschlägen beruhen. Ist das nicht gefährlich bei einem Jahresbudget von 6,2 Millionen Franken? Könnten die nicht plötzlich aussteigen? Fischer schüttelt den Kopf: «Ich vertraue ihrem Wort.»

Die Menschen sprechen in Genf zwar jeden Montag vom «SFC» und lesen die «Tribune de Genève», um Neues zu erfahren. Doch ins Stadion gehen sie nicht. 3611 kamen zuletzt im Romand-Derby gegen Xamax. «Mehr Zuschauer sind kein Ziel, es ist eine Konsequenz», sagt Fischer. Erfolg bringt Vertrauen, dann kommen auch die Leute zurück.

Ein Rugbyspieler als Sportchef

Für dieses Ziel geht Fischer einen eigenwilligen Weg. Sportchef Alain Studer hat zwar bis 18 Fussball gespielt, war aber Rugbyprofi und mit dem Geschäft wenig vertraut. Trainer Meho Kodro, ein Bosnier, wurde für Servette deswegen interessant, weil es dessen Sohn verpflichten wollte. Der Transfer scheiterte, Fischer blieb aber mit Kodro in Kontakt, fand Gefallen am früheren Barcelona-Spieler und holte ihn im Winter. Seither hat Servette 7-mal gewonnen, 2-mal unentschieden gespielt und sich mit attraktivem Fussball präsentiert.
Zudem arbeitet Michel Pont als persönlicher Berater für Fischer. Der ehemalige Assistenztrainer der Schweizer Nationalmannschaft kümmert sich primär um den Nachwuchs und macht sich Sorgen. Nicht, weil dieser schlecht wäre, nein, er ist zu gut. Die Clubs der Super League bedienen sich immer wieder in der Genfer Talentschmiede. «Das ist nicht fair», sagt Pont, «wir machen die Arbeit, sie profitieren.» Darum sei der Aufstieg so wichtig. In spätestens zwei Jahren soll dies geschehen.

Fischer nimmt ein Dossier vom Stapel auf dem Bürotisch und knallt es auf den Tisch. «Das ist unsere Zukunft!» Es geht um die geplante Akademie in Grand-Saconnex, die 2020 eröffnet werden und die Talentförderung noch einmal verbessern soll.

Fischer sagt, dass jeder Ausbildner Genfer sein müsse. Er erwartet bei einem Besuch der Akademie, dass die Jungen Kopfbedeckung und -hörer abnehmen und ihm die Hand schütteln. Er will auch, dass die Trainer die Schulnoten der Junioren kennen. Fischer hat kürzlich an einem Anlass mit ehemaligen Genfer Fussballern vorgetragen, wie wichtig bei Talenten die Phase um das 15. Lebensjahr sei. Hier müsse man ihnen beibringen, dass ihr Weg erst begonnen habe und sie noch nichts erreicht hätten.

Bewunderung für die Bauern

Dafür braucht es Vorbilder wie Jean-Pierre Nsamé. Der Kameruner schiesst Tor um Tor, kommt als Erster auf den Trainingsplatz und pfeift am Ende die Jungen zusammen, um Spielsituationen einzuüben. Nun wird Nsamé regelmässig vom FC Basel beobachtet. Ein Abgang droht. Fischer gibt sich gelassen, er hat mit Nsamé abgemacht, dass er entweder nächste Saison für die Grenats spiele oder dem Club viel Geld bringe. «Er wird uns helfen, so oder so.»

Mittlerweile hat Fischer die Tresortür geschlossen mit der Bemerkung, die wichtigen Dinge seien ja heute in Datenwolken aufgehoben. Fischer ist studierter Agronom und bewundert die Bauern, ihren selbstbestimmten Alltag. «Die Bauern produzieren Korn, Eier oder Milch für die Menschen. Wir als Fussballclub haben die Möglichkeit, den Leuten Emotionen oder Stolz zu schenken.» Es ist das Verständnis des neuen Servette.



/Kevin