Bericht über die CL (NLB) und am Sonntag kommt Lugano

02.12.2010 00:00:00 | maroons

Ein Wochenende in der Challenge League  (Artikel vom Tages-Anzeiger 30.11.2010)

Fussball im Armenhaus

Die Challenge League steht tief im Schatten der Super League. Sie zieht kaum Zuschauer an. Aber wer sich hier engagiert, tut das mit Geld und Herz und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Von Thomas Schifferle und David Wiederkehr

Es ist vom Schmetterantritt die Rede und davon, dass sich jemand ins Getümmel wirft. Das ist Fussball im Schweizer Sportfernsehen oder präziser: Challenge League. Und es ist ein ungewöhnlicher Zeitvertreib, sich am Montagabend Lugano - Aarau anzusehen – besonders, wenn zeitgleich «el clasico» aus Spanien gezeigt wird. Ganze 762 Zuschauer im Stadion Cornaredo und erfahrungsgemäss zwischen 10 000 und 20 000 vor dem Fernseher haben es trotzdem getan. Sie sahen, wie Lugano den Aargauern mit dem 1:0 schon die siebte Saisonniederlage zufügte.

Die stimmungslose Übertragung passt zu einer Liga, die sich schwertut, sich zu positionieren und auf sich aufmerksam zu machen. Es ist eine Verlustliga, die in dieser Saison 1625 Zuschauer pro Spiel anzieht. Und gäbe es Servette nicht, wären die Zahlen noch dürftiger. Die Swiss Football League hat deshalb die Reform beschlossen: die Reduktion von 16 auf 10 Teams auf die Saison 2012/13.

«Wenn wir ein gutes Paket schnüren, finden wir auch einen Titelsponsor», glaubt Liga-Präsident Thomas Grimm. Dosenbach war das schon einmal und zahlte dafür 500 000 Franken. Grimm träumt jetzt von 750 000 Franken Erlös. Gross würde auch das den Klubs nicht weiterhelfen. Mit der Verkleinerung der Liga ist eine höhere Attraktivität alles andere als garantiert. Und wer sagt, ob sich die Vereine dann wirklich noch die Geduld und Zeit nehmen, auf Junge zu bauen, wie es zu einer Ausbildungsliga passen würde? «Ich weiss nicht, ob wir der Liga mit der Reduktion einen Gefallen tun», sagt zum Beispiel Rainer Bieli, Captain des FC Winterthur. Wohlens Präsident Andy Wyder wird richtig deutlich: «Einige Vereine haben sich bei dieser Abstimmung das eigene Grab geschaufelt.» Wie Bellinzona, Locarno, Delémont und Kriens hat Wohlen gegen die Reduktion gestimmt.

Der Umbau der Challenge League ist nicht definitiv. Dafür fehlt die Zustimmung der Delegierten des Fussballverbandes, die sich nächsten Mai zu ihrer Versammlung treffen.

Schaffhausen: Das Geld des Präsidenten

Am Samstagnachmittag um 4 Uhr ist Schaffhausen ein Winterkurort. Es schneit unaufhörlich. Aniello Fontana entscheidet, die Kassenhäuschen zu schliessen. Er sagt, wer bei diesem Wetter überhaupt zum Spiel komme, müsse belohnt werden. 319 Zuschauer sind es, die sich auf die Breite hocharbeiten.

«Jailhouse Rock» läuft eine Stunde vor Spielbeginn ab Band. Im ersten Stock des Containers neben der Haupttribüne wartet Fontana, der Dauerpräsident des Klubs. Im VIP-Raum sorgen seine Frau und seine Schwägerin für den Service. Er klagt: «Ich habe Schwierigkeiten, unternehmerisch im Armenhaus zu sein.»

Als Immobilientreuhänder hat der 63-Jährige sein Geld gemacht. Einen «zweistelligen Millionenbetrag» hat er bis heute in seinen Verein gesteckt, um ihn am Leben zu halten. Allein in dieser Saison sind es 500 000 Franken, um selbst ein Mini-Budget von 2,3 Millionen finanzieren zu können. «Fussball ist ein Wirtschaftszweig, in dem alle Geld verdienen – ausser die, die es bringen», sagt er.

Ein zu ehrgeiziges Projekt

Die Bedingungen sind wegen des Schnees irregulär. Dass dennoch gespielt wird, verärgert Lausannes Trainer Martin Rueda. Er befürchtet, dass Zufälligkeiten den Match entscheiden können. Lausanne spielt um den Aufstieg in die Super League – der FC Schaffhausen muss bescheidenere Ziele verfolgen. Er unterhält zwar Profistrukturen. Der von Sion ausgeliehene Adeshina belastet mit 4000 Franken die Buchhaltung am meisten. Fontana sagt, er ziehe den Hut vor seinen Mitarbeitern, die sich mit diesem bescheidenen Budget im Mittelfeld der Challenge League halten.

Lausanne geht Mitte erster Hälfte in Führung.In der Pause werden die Linien vom Schnee befreit, damit wenigstens sie wieder zu sehen sind. Wenig später gleicht der Nigerianer Adeshina aus. Elf Lausanner Fans machen sich einen Spass daraus, Schneebälle auf den Rasen zu werfen. Nach 70 Minuten wird der Match unterbrochen, um die Linien wieder freizuwischen. Auf der Tribüne pöbelt ein Zuschauer über die eigenen Spieler: «Sind das Pfeifen, gottverdelli!»

Im Tribünengang freut sich Fontana über das 1:1 und gratuliert seinem Trainer René Weiler: Er habe die Mannschaft «megamässig» eingestellt. Der Gang ist eng, alt, modrig; er ist Sinnbild dafür, dass Schaffhausen im Fussball so keine schöne Zukunft haben kann. Im Herblingertal, im Norden der Stadt, soll ein neues Stadion für 10 000 Zuschauer entstehen. Fontana hat es sich zur Aufgabe gemacht, Lösungen für die Finanzierung des zu ehrgeizigen, überdimensionierten Projekts zu finden.

80 bis 90 Millionen kostet der ganze FCS-Park, 22 Millionen davon das Stadion. Für die Mantelnutzung ist das Möbel-Haus Lipo als Hauptmieter gefunden. Die Zeit aber drängt, um genug Geld aufzutreiben: Nächsten August läuft die Baubewilligung ab. Und sonst bleibt der Verein auf seiner Breite. Die Stadt steht, so Fontana, bis 2015 in der Pflicht, ein Challenge-League-taugliches Stadion bereitzustellen.

Weiler versteht seine Aufgabe, mit wenig viel zu erreichen, als Herausforderung. Nur weiss er, dass er lieber genügsam bleibt, wenn es um die sportlichen Ambitionen geht. «Die sind begrenzt», sagt er illusionslos. Deutlicher formuliert: Drei Jahre nach dem Abstieg aus der Super League ist Schaffhausen ein klassischer Challenge-League-Standort. Höchstens.

Wohlen: Die Grenzen eines Dorfklubs

Servette könnte ein lukrativer Gegner sein – sogar in der Deutschschweiz hat der gebeutelte Traditionsklub viele Fans. Aber erstens herrscht starker Schneefall an diesem Samstag in Wohlen, und es ist eiskalt. Und zweitens sind jene 30 Servette-Fans, die nach Wohlen kommen, unangenehme Zeitgenossen. Sie stürmen den Eingang, statt zu bezahlen, pöbeln sich über die Haupttribüne zum Gästesektor und zünden dort Petarden.

Der Schiedsrichter droht mit Spielabbruch, der Präsident des FC Wohlen muss die Polizei rufen. Andy Wyder wird die Rechnung für die aufgebotenen 14 Beamten und auch die Busse des Verbandes bezahlen müssen. 10 000 Franken könnte das alles zusammen kosten. Das Spiel gegen Servette hat sich finanziell nicht gerechnet. Gelohnt hat es sich wenigstens sportlich: Das 0:0 brachte Wohlen den ersten Punkt seit Anfang Oktober.

Aber wie so mancher Klub aus der Challenge League ist der FC Wohlen auf jeden Franken angewiesen. 1,6 Millionen Franken beträgt sein Budget. Obwohl im neuen Stadion Niedermatten kaum eine Fläche für weitere Werbebanderolen verfügbar wäre, kann der Klub die Ausgaben nicht mit Sponsorenbeiträgen allein decken – 350 000 Franken beträgt das Defizit in dieser Saison. Mitte September hat Wyder darum die «G-50» Wohlens zu einem Sponsorenabend eingeladen, die 50 wichtigsten Einwohner der Region. Er hat ihnen gesagt: «Es geht nicht weiter», mit 1,25 Millionen sei der Profibetrieb in Wohlen nicht aufrechtzuerhalten. Er hat die 350 000 Franken gesprochen bekommen – für diese und die kommende Saison.

2 Matchbälle und 480 Fans

Kurz darauf erhielt Wohlen die Grasshopers für den Cup-Achtelfinal zugelost, und seither darf Wyder täglich mindestens einen neuen Donatoren willkommen heissen. «Dieses Los hat uns enorm Flügel verliehen», sagt er. «Ich spüre eine Euphorie und einen Boom wie lange nicht mehr.» Die Rekordkulisse von 3860 Zuschauern wohnte der Partie gegen GC bei, 50 Matchbälle à je 200 Franken waren gesponsert worden. Gegen Servette nun sind es 2. Und 480 Menschen im Stadion. Sie sehen, wie im Schneegestöber Daniel Tarone für Wohlen mit einem Lattenschuss in der Schlussphase den Siegtreffer verpasst. Die Herkunft der Matchbesucher beschränkt sich noch sehr auf die unmittelbare Region im Freiamt, auf Wohlen und die Nachbargemeinden.

«Wir sind ein kleines Pflänzchen im Schweizer Fussball», sagt Wyder. Er tut das ohne Argwohn. Als er 1996 Präsident wurde, spielten die Wohler noch in der 2. Liga um den Aargauer Meistertitel.

Mittlerweile bestreiten sie ihre neunte Saison in der zweithöchsten Liga, und sie wollen alles daran setzen, in anderthalb Jahren die Zäsur zu überstehen, wenn die Challenge League verkleinert wird. Der Präsident ahnt schon, dass ein Budget von 1,6 Millionen Franken zu bescheiden dafür sein könnte. Ihm ist ohnehin bewusst: «Viel mehr werden wir nicht bieten können. Ein Budget von 3 Millionen ist in Wohlen undenkbar.» Dem Dorf mit seinen 15 000 Einwohnern fehlt eine dominante Industrie. Und bei allem Goodwill für den Klub: Ausgerechnet ein Wohler Unternehmen ist noch Hauptsponsor beim FC Aarau.

Winterthur: Der ewige Bieli

Für Bernard Thurnheer ist es der Tag nach«Benissimo» und dem Gastspiel von Take That. Auf der Schützenwiese geniesst er den freien Sonntag. Winterthur spielt gegen Locarno. Sirup- und Bierkurve sind ordentlich besetzt, 1600 Zuschauer sind insgesamt vor Ort. Thurnheer gefallen die ersten zwanzig Minuten seines FCW. Danach fällt die Unterhaltung auf sehr bescheidenes Niveau. «Ich gehe, wenn das Spiel noch so viele Minuten dauert, wie Winterthur Tore erzielt hat», kündet er an. Zwei Minuten vor Schluss zieht er ab. Winterthur führt dank Ben Katanhas Treffern 2:0.

Als Speaker hat sich SP-Stadtrat Nicolas - geübt. Die Mannschaft ist noch dabei, sich auf dem Platz von den Zuschauern zu verabschieden, als hinter der Haupttribüne Präsident Hannes W. Keller in seinem Smart schon wegfährt. Der Unternehmer macht es mit seinem Geld möglich, ein Budget von knapp 4 Millionen Franken zu finanzieren.

Captain Rainer Bieli ist mit geschätzt 100 000 Franken der Grossverdiener in der Mannschaft. Er ist auch eine Figur, nicht nur in Winterthur, sondern in der ganzen Liga. Als Fussballer hat er ein bewegtes Leben hinter sich. 74-mal spielte er für nationale Juniorenauswahlen, was unverändert Rekord bedeutet. Er war 21, als er für Xamax 21 Tore in der alten Nationalliga A erzielte und danach bei GC einen Vierjahresvertrag erhielt. Er durfte nur eine Saison bleiben. Seine Konkurrenz im Angriff hiess Chapuisat, Nuñez, Camara, Petric, Yakin.

130 Tore sind ihm in bislang 364 Spielen im bezahlten Fussball geglückt. 32 wird er im Februar. Aufhören möchte er noch lange nicht. Zu wohl ist ihm, wenn er mit der Nummer 9 auf dem Rücken spielen kann. Zu fit fühlt er sich («Wie man das Wort Verletzung schreibt, weiss ich gar nicht»). Um zwei Jahre würde er in Winterthur gerne verlängern. Der Klub wird nächste Woche damit beginnen, die Zukunft zu planen.

Das Privileg

Bieli versteht sich als Routinier, der Jungen helfen will, sie an die Super League heranzuführen. Vier Jahre liegt sein letzter Einsatz mit dem FC Aarau in der höchsten Liga zurück. Er empfindet es nicht als Degradierung, nur noch in der Challenge League zu stürmen. «Es ist ein Privileg, vor Publikum zu spielen», sagt er. Er gibt auch alles, wenn er für das Schweizer Sportfernsehen als Co-Reporter bei Live-Spielen der Challenge League im Einsatz steht.

Beim FCW wird die Fankultur gepflegt. Erstaunlich ist nur, dass er seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr erstklassig gewesen ist. «Wenn wir erfolgreich spielen, können wir auch aufsteigen», sagt Bieli, der ewige Optimist. Nur diese Saison dürfte es damit nichts mehr werden. Der FCW spielt viel zu unbeständig. Und Bieli hat erst vier Tore geschossen.

Kriens: «Schönes Spiel», ruft der Trainer im Lokal

Richtig feurig wird Maurizio Jacobacci bei der Ansprache. Er fordert einen «leuchtenden Auftritt» und den Sieg. Zuletzt ruft er in die Runde: «Schönes Spiel!» Der Trainer des SC Kriens spricht aber nicht etwa zu seinen Spielern, sondern zu den Zuschauern des Heimspiels gegen Biel. Wie jedes Mal erläutert er eine halbe Stunde vor Anpfiff im Klublokal den Gegner und die Taktik des eigenen Teams. «Ich tue das, damit die Leute sich auf die Finessen des Spiels konzentrieren können», sagt er. Und hofft, dass sie so weniger launisch auf der Tribüne sitzen. Nicht gleich motzen, wenn ein Ball verspringt – «klatschen!»

Das Kleinfeld in Kriens ist einer der urtümlichsten Sportplätze im Schweizer Spitzenfussball, ein Relikt aus alter Zeit. Der Stoffigel auf der Spielerbank. Die Bahnschwellen in den Stehrampen. Der Abflussdeckel in der Coaching Zone. Die fahrbare Gashupe im einer Ecke des Spielfelds. Die Schnapsgläser auf der Tribüne.«Bewege, bewege, bewege!», ruft ein Fan erzürnt, als die Krienser 0:1 in Rückstand geraten. Er ist Rentner wie viele hier und wie der frühere Nationalcoach Paul Wolfisberg, der Stammgast ist im Kleinfeld. Mit 405 Zuschauern pro Spiel belegen die Zentralschweizer den letzten Platz in der entsprechenden Statistik.

«Im Kleinfeld gibt es keinen Komfort, das Stadion ist völlig veraltet, und wir können unseren Sponsoren nichts bieten», bedauert Präsident Peter Glur. Selbst die Krienser gingen lieber zum FC Luzern als zum SCK, erklärt er: «Der FCL ist der Magnet der Region.»

Besser als ihr Ruf

Kriens wiederum ist die Ergänzung zum Tabellenführer der Super League, «ein Mosaiksteinchen in der Innerschweizer Nachwuchsförderung». 30 Juniorenmannschaften zählt der Klub – ValentinStocker ist einer seiner edelsten Exporte. Und für eine ideale Nachwuchsförderung, glaubt Glur, brauche es einen Verein in der Super League und einen in der Challenge League. Mit Luzern ist vereinbart worden, dass dieser Status unbedingt in die Zehnerliga gerettet werden soll. Glur sieht keinen Sinn in der geplanten Zwischenstufe 1. Liga Promotion.

Dank Toren von Tadic und Routinier Ntiamoah dreht der SC Kriens die Partie gegen Biel in der zweiten Halbzeit. Es ist am Ende ein attraktives Spiel auf tiefem Acker. Und Peter Glur findet: «Die Challenge League wird schlechter gemacht, als sie ist.»

Anmerkung:

Wir von den Maroons distanzieren uns von den Vorfällen in Wohlen klar. Die friedlichen „Maroons Mitglieder“ waren zu jenem Zeitpunkt schon seit längerem im Stadion. Solches Verhalten schadet dem Verein und allen anderen Fussball Fans.

 

Letztes Spiel in diesem Jahr:

Sonntag, 05. Dezember 15.00 Uhr

SERVETTE FC - FC Lugano 

/bö